Veranstaltung: | Bezirksversammlung Neuburg 29.6.2019 |
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Antragsteller*in: | Bezirksvorstand (dort beschlossen am: 24.05.2019) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 01.06.2019, 18:39 |
A1 - Kultur: „Kultur ist das, was bleibt“ - Kulturförderung in Kommunen und Gemeinden stärken
Antragstext
„Kultur ist das, was bleibt, wenn alles andere verloren ist.“ (Selma Lagerlöf)
Das Ifo-Institut konnte 2015 mit einer Studie darlegen, dass sich signifikant
mehr qualifizierte Beschäftigte mit Universitätsabschluss dort niederlassen, wo
sich ein traditionelles Opernhaus befindet. Und das nicht, weil Opernhäuser
ohnehin nur in wirtschaftlich florierenden Regionen entstehen, sondern weil
durch das kulturelle Angebot die Gegend erst attraktiv wird für gut ausgebildete
Menschen. Das Institut wählte Opernhäuser, die bereits zu Barockzeiten gegründet
wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass die Einkommen in allen 29 Städten in
Deutschland, die über ein barockes Opernhaus verfügen, bis heute höher sind als
in vergleichbar großen Städten ohne Opernhäuser. Dass heute im Umkreis
kultureller Zentren relativ viel Geld verdient und ausgegeben wird, hängt also
offenbar mit dem kulturellen Angebot selbst zusammen. Von Kulturförderung
profitieren indirekt folglich auch jene Bürger*innen vor Ort, die an den
kulturellen Angeboten selbst gar nicht interessiert sind.
Dass Baumaßnahmen für die Kultur mit einem ansprechenden Kulturprogramm auch die
Wirtschaft fördern, ist exemplarisch in Blaibach sichtbar. Dort entstand 2014 im
Ortskern ein Gebäudekomplex mit Konzertsaal, Bürgerhaus und Gastronomie.
Teilweise wurde die bestehende historische Bausubstanz erhalten. Der Konzertsaal
strahlt weit über Blaibach hinaus und schafft Identität vor Ort.
Zudem sorgte diese Baumaßnahme für eine deutliche wirtschaftliche Belebung.
Gastronomie und Tourismus profitieren vom Konzertbetrieb. Weil die Attraktivität
einer Region bisher oft an wirtschaftlicher Prosperität gemessen wurde, haben
viele Städten und Gemeinden in der Vergangenheit insbesondere mit dem Bau von
Straßen auf den Ausbau der technischen Infrastruktur und auf die Ausweisung von
Gewerbegebieten gesetzt. Ländliche Räume haben aber nur dann eine Zukunft, wenn
sie auch den Bedürfnissen der Bewohner*innen an sozialer Teilhabe Rechnung
tragen - für alle Generationen und alle gesellschaftlichen Gruppen. Für
gesellschaftliche Teilhabe und sozialen Zusammenhalt braucht es eine intakte
soziale Infrastruktur. Das sind vor allem Einrichtungen für Bildung, Kultur,
Gesundheit und Freizeit. Angesichts des zunehmenden
Fachkräftemangels sind Unternehmen außerdem darauf angewiesen, ihren
Arbeitnehmer*innen ein attraktives Umfeld zu bieten. Kulturinstitutionen und
Festivals - ebenso wie die „freie Szene“ - tragen wesentlich zur Attraktivität
von Orten als Wirtschaftsstandort und Tourismusmagnet bei. Kultur ist ein
relevanter Wirtschaftsfaktor, das belegen auch die Zahlen des Monitoringberichts
zur Kultur -und Kreativwirtschaft 2018: Mit ihren 254.700 Unternehmen trägt die
Kultur- und Kreativwirtschaft zu einer Bruttowertschöpfung von 102,4 Mrd EUR bei
und hat einen Anteil von 3,1 Prozent am Bruttoinlandsprodukt. Konstant im
Vergleich zu den Vorjahren liegt die Bruttowertschöpfung in der Kultur- und
Kreativwirtschaft in etwa gleichauf mit der des Maschinenbaus. Andere wichtige
Branchen in Deutschland, wie die Chemische Industrie, die Energieversorger oder
aber die Finanzdienstleister, werden von der Kultur- und Kreativwirtschaft
hinsichtlich der Wertschöpfung deutlich übertroffen. Diese Zahlen zeigen, dass
Fördermaßnahmen für die Kultur- und Kreativwirtschaft durchaus ein
wirtschaftliches Standbein für Kommunen und Gemeinden bedeuten können. Für uns
Grüne ist klar, dass der Wert von Kultur nicht allein in ökonomischen Größen
gemessen werden kann. Kulturelle Angebote prägen nicht nur die Identität einer
Region, sondern tragen vor allem zur Zufriedenheit und sozialer Teilhabe der
Bürgerinnen und Bürger bei. Auch kleine Städte und Gemeinden sollten daher
Kultur als Teil ihres Selbstverständnisses betrachten.
Der Bezirksverband Oberbayern setzt sich ein für:
- Kultur als festen Bestandteil der Daseinsfürsorge
- Eine angemessene Vergütung von Künstler*innen
- Geschlechtergerechtigkeit bei der Besetzung von Führungspositionen im
Kulturbetrieb
- Die Förderung der kulturellen Bildung bzw. der Kulturvermittlung
- Inklusion im Kulturbereich
- Programme und Projekte für mehr Integration durch Kunst und Kultur
- Teilhabe an Kulturangeboten für alle gesellschaftlichen Gruppen
- Freiheit von Kunst und Kultur
- Nachhaltigkeitskriterien bei Baumaßnahmen im Kulturbetrieb und stärkere
Berücksichtigung der Expertise des Landesamtes für Denkmalschutz sowie des
Landesdenkmalrates
- Die Stärkung von „Kunst am Bau“
- Die Förderung kleiner Kinos
- Die Förderung von Diversität hinsichtlich Alter, Ethnie, sexueller
Orientierung, Herkunft und Religion im Kulturbetrieb
- Eine nachhaltige Atelierförderung und Leerstandsnutzung für kulturelle
Zwecke
- Eine gleichberechtigte Förderung aller kulturellen Sparten
- Kulturämter bzw. Kultur- und Tourismusämter in allen großen (Kreis)-
Städten in Bayern
- Eine lebendige Erinnerungskultur
Zu 1.: Die öffentliche Kulturförderung gehört bislang nicht zur Daseinsfürsorge.
Daher fallen die Kulturförderung ebenso wie die Sportförderung häufig dem
Rotstift zum Opfer. Mit Einsparungen bei der Kultur lässt sich jedoch kein
Haushalt sanieren. Dafür ist ihr Anteil an den Gesamtausgaben zu gering und ihre
Bedeutung zu hoch. Die Bedeutung von Kultur wiegt mehr als ihre Kosten. Der
Anteil der Kulturausgaben an unserem Bruttoinlandsprodukt beträgt 0,4 Prozent.
Relativ zu den Gesamtausgaben der öffentlichen Haushalte liegen die
Kulturausgaben in Deutschland insgesamt bei 1,7 Prozent. Städte und Gemeinden
investieren etwas mehr als 2 Prozent ihrer jeweiligen Haushaltsetats für Kultur.
Insbesondere angesichts knapper Haushaltskassen werden Kürzungen bei den
Kulturausgaben vor Ort damit gerechtfertigt, dass Kultur zu den sogenannten
„freiwilligen Leistungen“ gehört. Eine „freiwillige Leistung“ sind Kultur und
Sport insofern, dass es jedem Menschen in unserer demokratischen Gesellschaft
freisteht, sich daran auf welche inhaltliche Weise auch immer, zu beteiligen.
Der Begriff „freiwillig“ definiert somit den Gegensatz zur Kulturpolitik im
Dritten Reich, wo Kultur und Sport politisch instrumentalisiert wurden. Die
Vergabe von Fördermitteln für Kultur ist keineswegs eine freiwillige
Großzügigkeit politischer Entscheidungsträger*innen. Eine Verpflichtung, als
erstes an Kultur und Sport zu sparen, wäre im Übrigen nicht vereinbar mit der
kommunalen Selbstverwaltung: Die Gemeinden haben das Recht, ihre Einnahmen- und
Ausgabenwirtschaft im Rahmen eines geordneten Haushaltswesens selbständig zu
führen. Sie haben die Verpflichtung, Güter und Dienstleistungen bereitzustellen,
die für das menschliche Dasein als notwendig erachtet werden. Dazu gehört gemäß
Artikel 27 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte auch die Teilhabe an
Kultur: „1. Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei
teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen
Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben.“
Zu 2. und 3.: Die Diskrepanz zwischen wirtschaftlichem Erfolg und der
Einkommenssituation der Wertschöpfer*innen in der Kulturbranche ist frappierend.
Zahlen der zum 1. Januar 2018 aktiv Versicherten bei der Künstlersozialkasse
belegen ein im Vergleich zu den Vorjahren konstant niedriges Einkommen in den
Branchen Wort, Bildende Kunst, Musik und Darstellende Kunst. So liegt
beispielsweise das durchschnittliche Jahreseinkommen im Bereich Bildende Kunst
für Künstler bei rund 19 T EUR, für Künstlerinnen lediglich bei rund 13 T EUR.
Im Bereich Musik ist das Durchschnittseinkommen noch niedriger. Für Musiker
liegt es bei rund 15 T EUR, für Musikerinnen bei nur rund 11 T EUR. Die meisten
künstlerischen Berufe erfordern ein jahrelanges zeit- und kostenintensives
Studium. Fleiß, Durchhaltevermögen und Disziplin sind Grundvoraussetzungen für
alle darstellenden und bildenden Künstler*innen und Musiker*innen.
Künstler*innen zählen zur kinderärmsten Berufsgruppe in Deutschland, bei einer
durchschnittlichen Rentenerwartung von 420 EUR ist Altersarmut vorprogrammiert.
Angemessene Honorare und Gehälter für Künstler*innen ebenso für wie für alle
qualifizierten Lehrkräfte im kulturellen Bereich denken wir daher bei allen
Fördermaßnahmen ebenso wie auch beim kulturellen Rahmenprogramm Grüner
Veranstaltungen immer mit! Die nach wie vor bestehende Benachteiligung von
Frauen ist nicht nur ungerecht, dem Kulturbetrieb geht damit kreatives Potential
verloren. Diskriminierung kann und darf nicht mit künstlerischer Freiheit
gerechtfertigt werden. Eine geschlechtergerechte Kulturpolitik ist daher
notwendig.
Zu 4.: Auf dem Arbeitsmarkt sind Teamfähigkeit und Kreativität gefragt,
Eigenschaften, die an unseren Schulen und Universitäten nur ungenügend gefördert
werden. Kulturelle Bildung hängt bei uns hauptsächlich vom Einkommen der Eltern
ab. An weiterführenden Schulen in Bayern werden musische Fächer kontinuierlich
gekürzt oder fallen aus, weil dafür nicht ausreichend Lehrkräfte eingestellt
werden, beispielsweise für Kunsterziehung. Kreativität ebenso wie
Gestaltungskompetenzen, Eigeninitiative und Reflexionsvermögen sind keine
angeborenen Fähigkeiten. Sie können gelernt und vermittelt werden. Kooperationen
zwischen Schulen und Kulturinstitutionen oder KünstlerInnen können dazu
beitragen, dass kulturelle Bildung alle Kinder und Jugendlichen erreicht. Kultur
muss mit Bildung, und Kunst mit Lernen verknüpft werden. Beispielhaft dafür
steht die Arbeit im Bereich kulturelle Bildung des BBK (Bundesverband Bildender
Künstler*innen) München, wo Künstler*innen mit unterschiedlichen Schulen
zusammenarbeiten. Oder der Verein „Künstler an die Schulen e.V.“ in Ingolstadt,
dessen Mitglieder - Künstler*innen unterschiedlicher Sparten - Programme und
Projekte für Kindergärten und Schulen anbieten. Kulturelle Bildung muss
elementarer Bestandteil der schulischen Bildung sein. An Ganztagsschulen sollten
Schüler*innen zwischen künstlerischen Kursen von Schauspiel bis hin zu
Fotografie ihren Neigungen entsprechend wählen dürfen. Immer mehr
Ganztagsschulen bzw. Horteinrichtungen bieten bereits vor Ort auf freiwilliger
Basis Instrumentalunterricht an. Diese und andere kulturelle Angebote öffentlich
zu fördern und somit für die Schüler*innen bzw. deren Eltern kostenfrei oder
kostengünstig zu ermöglichen, wäre ein Schritt hin zu mehr kultureller Teilhabe
für alle Kinder und Jugendlichen. Wesentlicher Bestandteil kultureller Bildung
ist zudem die altersgerechte Kulturvermittlung. Immer mehr Stadttheater in
Bayern haben eine eigene Kinder- und Jugendsparte mit Vorstellungen für
Kindergärten und Schulklassen aller Altersstufen zu reduzierten
Eintrittspreisen. In München gibt es mit der Schauburg ein eigenes Kinder- und
Jugendtheater. Das Junge Landestheater Bayern tourt für junge Menschen in alle
Regionen Bayerns. Kulturelle Angebote wie ein Theater-, Konzert- oder
Museumsbesuch können das Denken verändern und Empathie fördern. Wir begrüßen
eine Öffnung der Kulturinstitutionen für alle Gruppen unserer Gesellschaft sowie
Kooperationen mit Bildungseinrichtungen!
zu 5.: Inklusion und Barrierefreiheit im Kulturbereich müssen nicht nur
substanzielle Verbesserungen beim Zugang zu unserer kulturellen Infrastruktur
beinhalten, wie z.B. Tastführungen, Führungen in Leichter Sprache, usw.. Es geht
auch darum, die künstlerische Aktivität von „besonderen Menschen“ individuell zu
fördern und somit unsere Gesellschaft mit ihrem kreativen Potential zu
bereichern. Ein wichtiger Baustein für das Gelingen von Inklusion ist die
Kooperation zwischen Fördereinrichtungen und qualifizierten Künstler*innen. Das
kreative, künstlerische und intellektuelle Potential von Menschen mit
Behinderungen muss sich entfalten können, das fordert auch die
UNBehindertenrechtskonvention.
zu 6.: Dass die Beschäftigung mit Kunst und Kultur eine Abwechslung vom Alltag
und für einige Geflüchtete sogar eine Form der „Traumabewältigung“ bedeuten
kann, ist unbestritten. Darüber hinaus bringt die gemeinsame künstlerische
Aktivität Menschen unterschiedlicher sprachlicher und kultureller Herkunft
einander näher und trägt zum besseren Verständnis für das Schicksal von
Flüchtlingen bei. Wenn Menschen unterschiedlicher Herkunft miteinander
musizieren oder eine Tanzperformance einstudieren, können gegenseitige
Vorurteile aufgehoben werden und Grenzen zwischen „wir“ und „die“ verschwimmen.
Ein positives Praxisbeispiel ist das Bellevue di Monaco, ein Wohn- und
Kulturzentrum für Geflüchtete und Münchner*innen. Auch in den AnkER-,
Gemeinschafts- und Erstaufnahmeunterkünften können und wollen viele Geflüchtete
künstlerisch aktiv sein oder Kulturveranstaltungen besuchen. Ihr kreatives
Potential zu fördern und ihnen Möglichkeiten und Rahmenbedingungen zur
kulturellen Teilhabe anzubieten, ist uns Grünen in Oberbayern ein Anliegen.
zu 7.: Zugang zu Kultur und gemeinsame künstlerische Aktivität stärken den
Zusammenhalt einer Gesellschaft und wirken integrativ. Kommunen und Gemeinden
sollten daher Kultur-Akteurinnen und -Akteure dabei unterstützen, ein Publikum
außerhalb ihrer „Nische“ anzusprechen. Ein Ansatz wäre, dass städtisch
geförderte Museen zumindest an einem Tag in der Woche keinen Eintritt verlangen
oder einige öffentlich geförderte Opern- und Konzertaufführungen als
kostengünstiges Open Air organisiert werden. Auch kostenlose bzw. kostengünstige
Schüler*innen- und Student*innen-Tickets für Museen, Burgen und Schlösser oder
ein „Ferien-Pass“ zum Besuch von Kultureinrichtungen in Oberbayern können dazu
beitragen, mehr Teilhabe an Kultur zu ermöglichen. Großbritannien feiert mit
kostenlosen Museen für alle seit knapp 20 Jahren Erfolge.
Kulturangebote und Gelegenheiten zur künstlerischen Aktivität haben einen
entscheidenden Einfluss auf den individuellen Bezug zum Heimatort und die
Attraktivität von Orten – insbesondere für Jugendliche. Sie benötigen
Rückzugsorte und Abwechslung im Freizeitbereich. Aber auch der fortschreitenden
Vereinsamung Älterer wird durch Teilhabe an Kunst und Kultur vorgebeugt. Die
Schaffung von Freiräumen und Möglichkeiten zur künstlerischen Auseinandersetzung
ist daher insbesondere im ländlichen Raum notwendig, um Jugendlichen und älteren
Menschen Perspektiven zur Entfaltung ihrer Kreativität vor Ort anbieten zu
können. Niedrigschwelliger Zugang zu Kultur für alle ist uns wichtig.
Jugendkulturzentren und Jugendkulturringe müssen in ländlichen Gebieten gestärkt
werden und erhalten bleiben.
Zu 8.: Nachdem der Intendant der Kammerspiele, Matthias Lilienthal und sein
Kollege vom Volkstheater, Christian Stückl, im vergangenen Sommer den
überparteilichen Aufruf zur Demo „#ausgehetzt-gemeinsam gegen die Politik der
Angst“ mitgezeichnet hatten, intervenierte die CSU- Fraktion im Münchner
Stadtrat und appellierte an das „Neutralitätsgebot“. Das Neutralitätsgebot für
alle staatlichen Einrichtungen ist eine Konsequenz aus der politischen
Instrumentalisierung von Bildung, Sport und Kultur im Dritten Reich. In seinem
Aufsatz „Das Neutralitätsgebot als rechtliche Scheinwaffe gegen staatliche
Courage“ legt der u.a. auf Verwaltungsrecht spezialisierte Rechtsanwalt Jost von
Glasenapp dar, dass „Beamte und staatliche Organe verpflichtet (seien), sich
aktiv für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzusetzen.“ Darüber
hinaus kommt er zum Schluss, dass Beamte und Staatsbedienstete die Befugnis und
Zuständigkeit haben, sich zu möglichen verfassungsfeindlichen Zielen von
Parteien und Organisationen zu äußern und ihnen entgegen zu treten. Wenn also
die Ziele einer Partei unsere offene, demokratische Gesellschaft bedrohen,
sollten auch Beschäftigte an staatlichen Kulturinstitutionen dagegen
aufbegehren.
„Aus politischen Gründen“ wurde im August letzten Jahres ein Konzert mit
Uraufführung des Organisten und Komponisten Prof. Robert Maximilian Helmschrott
durch den Veranstalter (die katholische Kirche vertreten durch Münsterpfarrer
Dekan Bernhard Oswald und dem Vorsitzenden des Vereins der Freunde der Musik am
Ingolstädter Münster e.V.) ersatzlos abgesagt. Kurz zuvor hatte sich der Musiker
in einem Interview mit dem Donaukurier gegen die CSU-Flüchtlingspolitik
positioniert.
Die Kunst ebenso wie die Wissenschaft in Deutschland sind frei. Wenn
Künstlerinnen und Künstler sich politisch äußern wollen, müssen sie das dürfen,
selbst wenn sie an einer öffentlichen Kulturinstitution beschäftigt sind. Ihnen
dies zu verwehren, bedeutet nichts anderes als Zensur bzw. Selbstzensur durch
die jeweiligen Veranstalter.
Demokratiefeindlichen Kräften in den Parlamenten, die Kunst und Kultur für ihre
Zwecke instrumentalisieren und reglementieren wollen, treten wir entschlossen
entgegen. Grüne Kulturpolitik setzt sich dafür ein, dass die Rahmenbedingungen
für Kunst- und Meinungsfreiheit gewährleistet bleiben. Um Günstlingswirtschaft
bei der Kulturförderung möglichst auszuschließen, sind wir bei der Besetzung von
Führungspositionen im Kulturbereich für überregionale Ausschreibungen und für
die Möglichkeit der Einbeziehung eines externen Expert*innengremiums zur
Entscheidungsfindung. Bei der Vergabe von Fördermitteln setzen wir auf die
jeweils dem Verwendungszweck angepasste Festlegung transparenter Förderkriterien
sowie auf ein anonymisiertes Auswahlverfahren, sofern dies möglich ist (z.B. bei
Ausschreibungen für Architekt*innen sowie im Bereich Bildende Kunst).
Zu 9.: Die Sanierung, die Denkmalpflege und die Nutzung einer bestehenden
Bausubstanz sind nachhaltig. Für den Neubau, für An- und Umbauten sollen
Baustoffe nach ökologischen Kriterien ausgewählt werden, die keine negativen
Auswirkungen auf die Bewohner*innen haben.
Grüne Kulturpolitik stellt ökonomische Interessen nicht über das kulturelle
Erbe. Erhalt historischer Bausubstanz und Innovation ist kein Widerspruch. Wir
wollen die Bevölkerung und die Stadtverwaltungen zum Erhalt historischer
Ortskerne sensibilisieren und substanzielle Kulturgüter (u.a. Jura- und
Bauernhäuser, alte Brunnen, Parkanlagen, Innenhöfe) erhalten. Immer wieder
werden bei Entscheidungen der Stadtparlamente und Gemeinderäte Einwände des
Landesamtes für Denkmalschutz sowie des Landesdenkmalrates1 ignoriert. Jüngst
wendete sich der Landesdenkmalrat strikt gegen das Bauvorhaben einer
Baustoffhalle am Freiwasser/Eichstätt, dennoch wurde eine Baugenehmigung seitens
der Stadt erteilt. Durch den Neubau wird die Blickbeziehung zur Eichstätter
Willibaldsburg gefährdet. Das Baustofflager wird an sensibler Stelle im
Naturpark Altmühltal verwirklicht. In Ingolstadt wurde die Kritik des
Denkmalamtes am Bebauungsplan für das Gießereigelände übergangen, wonach das
geplante Kongresszentrum im Verhältnis zum historischen Schloss zu mächtig sei.
Wir setzen uns dafür ein, dass Einschätzungen des Denkmalamtes bei allen
Entscheidungen in politischen Gremien berücksichtigt und dem Landesdenkmalrat
höhere Kompetenzen eingeräumt werden, um „Bausünden“ zu vermeiden.
zu 10.: Kunst am Bau verschafft einem Neubau und dem öffentlichen Raum
Individualität und ein Alleinstellungsmerkmal. Aufträge für Kunst am Bau sind
für freischaffende Bildende Künstler*innen bzw. Bildhauer*innen eine relevante
Einkommensquelle. Immer wieder werden vor Ort in Oberbayern zwar Künstler*innen
für Kunst am Bau engagiert, aber für ihre Arbeit im Verhältnis zur
Bauwerkskosten viel zu gering vergütet. Grüne Kulturpolitik setzt sich vor Ort
ein für einen verbindlichen Anteil an den Bauwerkskosten (2 Prozent analog zum
Bereich Hochbau der Bayerischen Staatsbauverwaltung) zu Gunsten von Kunst am Bau
sowie eine bayernweite Ausschreibung des jeweiligen Auftrags.
zu 11.: Das gemeinschaftliche Kino-Erlebnis ist fester Bestandteil unseres
Kulturlebens. Dort werden auch Filme außerhalb des „Mainstreams“ gezeigt, oft in
Kombination mit Veranstaltungen (Premierenfeiern oder Diskussionsrunden). Kinos
schaffen gesellschaftlichen Raum außerhalb des Privaten. In Zeiten von Netflix
und Co ist jedoch insbesondere die Existenz kleiner Kinos vor Ort gefährdet. Wir
unterstützen kleine Kinos vor Ort!
Zu 12.: Vielfalt macht Kunst und Kultur vielfältig. Alle gesellschaftlichen
Gruppen sollen sich künstlerisch ausdrücken und mit ihren künstlerischen und
kulturellen Arbeiten gesellschaftlich einbringen können. Unsere Gesellschaft
wird bunter und älter. Menschen mit Migrationshintergrund sind nach wie vor
unterrepräsentiert. Aber auch andere gesellschaftliche Gruppen müssen innerhalb
und außerhalb der Führungspositionen des Kulturbetriebes stärker
Berücksichtigung finden. Frei nach dem Motto „Gib 10% deines Jobs einer Person,
die sehr unterschiedlich zu dir ist“ findet Kunst und Kultur so breitere und
mannigfaltigere Ausdrucksformen und Umsetzungen.
zu 13.: In München wurde aktuell das Gesundheitshaus in der Dachauer Straße zur
Zwischennutzung für kulturelle Zwecke freigeben. Laut Zeitungsberichten
erreichen die Stadt diesbezüglich zahllose Anfragen und Raumreservierungen von
Künstler*innen. Der Bedarf an erschwinglichen Räumlichkeiten für Künstler*innen
aller Sparten und Genres ist nicht nur in München enorm. Die Bereitstellung von
Räumlichkeiten ist ein wesentlicher Faktor zur Förderung des kreativen
Potenzials, Leerstandsnutzung für kulturelle Zwecke wiederum ist ein Modell
gegen die Verödung von Innenstädten und Ortskernen. Hier kann das Modell der
„Wächterhäuser“ (in Sachsen durch HausHalten e.V.) als Vorbild dienen:
„Hauserhalt durch Nutzung“ ist für kreative Nutzer ebenso wie für die
Eigentümer*innen ein „Win-Win-Modell“. Bands, bildende Künstler*innen am Anfang
ihrer Karriere, Künstler*innen im Bereich Jugendkultur und im
semiprofessionellen Bereich können von diesem Konzept profitieren, weil dadurch
mehr günstige Probenräume und Ateliers zur Verfügung stehen. Wir unterstützen
die öffentliche (Teil-)Finanzierung der Mieten für die (Zwischen-)Nutzung von
privatwirtschaftlichen Leerständen zugunsten von Ateliers und Proberäumen für
Künstler*innen und setzen uns dafür ein, dass Leerstände der öffentlichen Hand
auch für die kulturelle Nutzung zur Verfügung gestellt werden. Fördermaßnahmen
zur Leerstandsnutzung dürfen jedoch nicht das einzige Instrument bleiben, in
dichter und teurer werdenden Städten Räume für Kunst und Kultur zu bewahren und
zu schaffen. Wir setzen uns daher ebenfalls ein für Konzepte zur nachhaltigen
Atelierförderung in Gemeinden und Kommunen.
zu 14.: Ein Merkmal unserer öffentlichen Kulturfinanzierung liegt bei der
Förderung vielfältiger Angebote, die sich nicht oder noch nicht wirtschaftlich
eigenständig behaupten können. Dadurch werden beispielsweise Uraufführungen
zeitgenössischer klassischer Musik oder von Theaterstücken ermöglicht, deren
Urheber*innen (noch) keinen bekannten Namen haben. Junge Menschen in ihrer
künstlerischen Entwicklung zu unterstützen, deren späterer Erfolg auf dem freien
Markt noch nicht hundertprozentig prognostiziert werden kann, ist eine weitere
maßgebliche Säule unserer Kulturförderstruktur, denn im Experiment liegt der
Humus, auf dem unsere Kultur wachsen kann. Um Vielfalt und künstlerische
Qualität nachhaltig zu sichern, müssen alle Sparten gleichberechtigt gefördert
werden ohne Scheuklappen gegenüber beispielsweise Formen der Jugendkulturen.
Zu 15.: Die Kulturarbeit in vielen Städten und Ortschaften basiert zu einem
erheblichen Anteil auf ehrenamtlichem und privatwirtschaftlichem Engagement der
Bürger*innen (u.a. private Musikschulen, Vereine, private Museen, etc.). Eine
hauptamtlichen Koordinierungsstelle ist notwendig: Zur Bündelung und
Durchführung von Veranstaltungen und Attraktionen; zur Unterstützung bei der
Überwindung bürokratischer Hürden ebenso wie für eine professionelle Presse- und
Öffentlichkeitsarbeit. Neben dem Ordnungsamt, Bauamt, etc. sollte daher jede
große (Kreis-)Stadt über ein Kultur- bzw. Kultur- und Tourismusamt mit
hauptamtlichen Mitarbeiter*innen verfügen sowie eine*n Kulturbeauftragte*n bzw.
Kulturreferent*in stellen.
Zu 16: Wir wollen eine Erinnerungskultur, die uns hilft, die Gegenwart und
Zukunft demokratisch und menschenfreundlich zu gestalten. Wir treiben die
Aufarbeitung der NS-Vergangenheit weiter voran und setzen uns dafür ein, dass
Gedenkstätten der NS-Verbrechen erhalten bleiben. In allen Städten und Gemeinden
sollten Gedenkorte an die Opfer des Nationalsozialismus vorhanden sein.
Zivilgesellschaftliche Formen der Erinnerungskultur wie beispielsweise die
Stolpersteine nach einer Idee des Künstlers Gunter Demnig unterstützen wir. Denn
Erinnerung und Aufarbeitung aus der Mitte der Gesellschaft sind eine wichtige
Voraussetzung für die Bekämpfung von Rechtsextremismus, Antisemitismus,
Antiziganismus, Rassismus und Homophobie in den Köpfen der Menschen. Darüber
hinaus ist unser Anliegen, dass Ideologien gruppenbezogener
Menschenfeindlichkeit nicht in Musik und Kunst transportiert werden und fördern
Projekte, die sich im Bereich Kinder- und Jugendbildung künstlerisch gegen
gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus engagieren.
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